Welche Auswirkungen haben Covid-19 und die von der Bundesregierung kürzlich gefassten Maßnahmen auf Zivilprozesse?

Übersicht:

Fragen und Anworten:

Bleibt der Gerichtsbetrieb bei Zivilprozessen unverändert aufrecht?

Mit 16.3.2020 trat eine Verordnung in Kraft, mit der die Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz geändert wurde. Diese Verordnung sieht eine Einschränkung des gerichtlichen Parteienverkehrs auf das unbedingt nötige Mindestmaß vor. Das Bundesministerium für Justiz stellte im Einführungserlass klar, dass der Gerichtsbetrieb im erforderlichen Maße aufrecht bleibt. Mündliche Verhandlungen sollen nur abgehalten werden, wenn es zur Aufrechterhaltung der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist.

Im 2. Covid-19-Gesetz wurde ergänzend geregelt, dass in dringenden Fällen Verhandlungen auch unter Verwendung technischer Kommunikationsmittel durchgeführt werden können. Zu denken ist hierbei insbesondere an Videokonferenzen, in Ausnahmefällen aber auch an Telefonkonferenzen. Diese gesetzliche Anordnung war notwendig, weil die unmittelbare Beweisaufnahme ein wesentliches Prinzip unserer Zivilprozessordnung ist. Immer dann, wenn rasche gerichtliche Entscheidungen notwendig sind, also vor allem in familienrechtlichen Verfahren oder bei Entscheidungen über Einstweilige Verfügungen, können daher "Tele-Verhandlungen" abgehalten werden.

Die Digitalisierung unseres Gerichtssystems ist weit fortgeschritten. Gerichtliche Erledigungen mit Hilfe des elektronischen Rechtsverkehrs werden daher möglich bleiben. Rechtsanwälte werden daher weiterhin in der Lage sein, zum Beispiel Klagen und Exekutionsanträge einzubringen. Auch Entscheidungen über diese Anträge sollten möglich bleiben. Mit dem am 5.4.2020 in Kraft getretenen 4. Covid-19 Gesetz wurde zudem klargestellt, dass – entgegen der ursprünglichen Regelung im Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu Covid-19 in der Justiz – auch physische gerichtliche Zustellung erfolgen sollen. Dies betrifft etwa Klagen samt Auftrag zur Klagebeantwortung, sowie bedingte Zahlungsbefehle.

Welche Auswirkungen haben die Corona-Gesetze auf prozessuale Fristen?

Das 2. Covid-19 Gesetz ordnet eine gesetzliche Unterbrechung von prozessualen Fristen in bürgerlichen Rechtssachen (Zivilprozesse, Außerstreitverfahren, Grundbuchs- und Firmenbuchverfahren und Exekutionsverfahren) an. Die ursprünglich geregelte Einbeziehung von Fristen im Insolvenzverfahren wurde im 4. Covid-19-Gesetz wieder aufgehoben. Grund dafür war, dass Insolvenzverfahren weiterhin rasch abgewickelt werden sollen.

Von der Unterbrechung umfasst sind alle "verfahrensrechtlichen Fristen", also alle Notfristen und sonstige gesetzliche oder richterliche Fristen. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung sind Leistungsfristen (zB eine in einem Urteil bestimmte Zahlungsfrist) nicht erfasst. Vollstreckbare Beschlüsse und Urteile müssen daher erfüllt werden.

Derzeit ist vorgesehen, dass verfahrensrechtliche Fristen von Montag, 23. März 2020, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen werden und ab 1. Mai 2020 neu zu laufen beginnen. Im 4. Covid-19 Gesetz wurde klargestellt, dass der 1. Mai 2020 als Tag des fristauslösenden Ereignisses gilt. Diese Frist kann durch Verordnung der Bundesministerien für Justiz verlängert werden. In Ausnahmefällen kann das Gericht anordnen, dass eine bestimmte Frist nicht unterbrochen wird. In einem solchen Szenario hat das Gericht sogleich eine neue angemessene Frist zu bestimmen, wobei es sich hier an den gesetzlichen Fristen zu orientieren hat.

Die Unterbrechung von Fristen ändert nichts daran, dass Verfahren weiter anhängig bleiben. Es ist daher weiterhin möglich, Schriftsätze einzubringen, und diese können von den Gerichten auch bearbeitet werden. Auch Zustellungen können weiterhin erfolgen.

Welche Auswirkungen haben die Corona-Gesetze auf materiellrechtliche Fristen?

Für materiellrechtliche Fristen ordnet das Gesetz keine Unterbrechung, sondern eine Hemmung an. Daher wird die Zeit von Montag, 22. März 2020, bis zum Ablauf des 30. April 2020 in die Frist, innerhalb der bei einem Gericht eine Klage oder ein Antrag einzubringen oder eine Erklärung abzugeben ist, nicht eingerechnet. Bei Bedarf kann die Bundesministerien für Justiz auch diesen Zeitraum verlängern.

Diese Fristenhemmung betrifft etwa Verjährungsfristen, die Frist für die Besitzstörungsklage, die Anrufung des Gerichts gegen einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers, die Anrufung der Schlichtungsstelle nach § 40 MRG aber etwa auch die Kündigungsanfechtung in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten.

Gibt es Änderungen im Zustellrecht? Welche Wirkungen haben Zustellung von Schriftstücken bei Abwesenheit?

Das 2. Covid-19 Gesetz sieht einige Zustellungserleichterungen vor. Im Zeitraum der vorgesehenen Fristenunterbrechung können gerichtliche Dokumente – anstelle der eigenhändigen physischen Zustellung und der Hinterlegung – vom Zustellorgan an der Abgabestelle zurückgelassen werden (etwa durch Einwurf in den Briefkasten). Die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Diese Regelung dient der Vermeidung direkter Kontakte zwischen Zusteller und Empfänger. Der Empfänger ist von einer solchen Zustellung schriftlich (etwa durch Anbringung einer Mitteilung an der Eingangstür) oder mündlich (über Gegensprechanlage oder Telefon) zu verständigen.

Längerfristige Betriebsunterbrechungen können also unter Umständen dazu führen, dass Dokumente nicht von der Abgabestelle abgeholt und dadurch Fristen oder Tagsatzungen versäumt werden. Es empfiehlt sich daher, die einlangende Post auch im Falle von Remote Work oder einer vorübergehenden Schließung des Unternehmens regelmäßig zu kontrollieren. Sollte dies unmöglich oder nicht gewünscht sein, kann man der Post einen Nachsendeauftrag erteilen oder die Ortsabwesenheit mitteilen.

Können versäumte Prozesshandlungen nachgeholt werden?

Hat eine Partei eine Tagsatzung oder eine durch das Gesetz verlängerte Frist versäumt, kann das Gericht unter gewissen Voraussetzungen die Nachholung dieser Prozesshandlung durch sogenannte "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" bewilligen. Die betroffene Partei hat in ihrem Antrag zu bescheinigen, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme gehindert war. Plötzliche Erkrankungen oder Reisehindernisse, aber auch unverschuldete Unkenntnis von Zustellungen werden wohl ausreichend sein.

Führt Covid-19 zu einer Unterbrechung von Zivilprozessen?

Es kann sein, dass einzelne Gerichte ihre Tätigkeit vollständig einstellen müssen und nicht einmal mehr den angeordneten Notbetrieb aufrechterhalten können. Die Bundesministerin für Justiz würde dies auf "www.justiz.gv.at" kundmachen. Bei dem jeweiligen Gericht anhängige Verfahren gelten dann (unabhängig von den Covid-19 Gesetzen) als unterbrochen. In dringenden Fällen können die Parteien beim übergeordneten Oberlandesgericht (in gewissen Ausnahmen beim Obersten Gerichtshof) beantragen, die Rechtssache an ein anderes Gericht zu überweisen.

Zudem kann es sein, dass eine Partei durch eine Quarantäne oder Ausgangssperre daran gehindert ist, an einem Verfahren mitzuwirken. In diesem Fall kann das Gericht – über Antrag – eine Unterbrechung des jeweiligen Verfahrens bis zum Wegfall des Hindernisses anordnen. Voraussetzung ist, dass der betroffenen Partei aufgrund ihrer Verhinderung prozessuale Nachteile drohen. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen. Eine bewilligte Unterbrechung des Verfahrens führt dazu, dass keine Verhandlungen stattfinden und laufende prozessuale Fristen unterbrochen werden.

Können bereits anberaumte Tagsatzungen verlegt werden?

Die meisten Gerichte haben bereits so gut wie alle zeitnahen Tagsatzungen abberaumt. Sollte das Gericht dies übersehen haben, können die Parteien eine Verlegung beantragen. Dafür wird ein Verweis auf das 2. Covid-19 Gesetz ausreichen. Sollte ein Gericht eine Verhandlung dennoch abhalten wollen, müsste die jeweilige Partei in ihrem Antrag ein erhebliches Hindernis bescheinigen (zB Quarantäne, Ausgangssperre, Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, unzumutbar lange Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln).