EU will Kapitalmärkte für Privatanleger attraktiver machen – Einigung zur Retail Investment Strategy

Nach intensiven Verhandlungen haben sich die Europäische Kommission, das Parlament und der Rat im sogenannten Trilog auf die neue EU-"Retail Investment Strategy" geeinigt. Das Maßnahmenpaket, das bereits im Mai 2023 vorgestellt wurde, verfolgt das Ziel, den europäischen Kapitalmarkt für Privatanlegerinnen und Privatanleger deutlich attraktiver und zugänglicher zu gestalten.

Hintergrund

Bislang investieren private Haushalte in der EU vergleichsweise zurückhaltend in Wertpapiere: Lediglich 17 % ihres Vermögens waren 2021 am Kapitalmarkt angelegt – zum Vergleich: In den USA waren es 43 %. Mit den geplanten Maßnahmen soll diese Kluft geschlossen und die Teilhabe am Kapitalmarkt deutlich attraktiver gestaltet werden.

Der Rat der EU sieht mehrere Ursachen für die derzeit geringe Bereitschaft privater Haushalte, am Kapitalmarkt zu investieren:

  • Informationszugang: In der Praxis hätten Kleinanleger häufig Schwierigkeiten, relevante, vergleichbare und leicht verständliche Informationen zu erhalten, die für eine fundierte Anlageentscheidung notwendig wären.
  • Marketingeinfluss: Privatanleger seien zunehmend einem Risiko ausgesetzt, von unrealistischen oder einseitigen Marketinginformationen beeinflusst zu werden – insbesondere durch sogenannte "Finfluencer", die auf sozialen Medien und neuen digitalen Kanälen Finanzprodukte bewerben und dabei oft persönliche Empfehlungen aussprechen, ohne immer alle Risiken transparent darzustellen.
  • Vertrauen in den Finanzsektor: Nur 38 % der Verbraucher seien überzeugt, dass die Anlageberatung, die sie von Finanzdienstleistern erhalten, in erster Linie in ihrem besten Interesse erfolgt
  • Hohe Gebühren: Viele Anlageprodukte für Privatanleger seien im Vergleich zu Angeboten für institutionelle Investoren mit überdurchschnittlich hohen Gebühren und Provisionen verbunden. Dies schmälere die mögliche Kapitalrendite privater Anleger spürbar.

Die Retail Investment Strategy reagiert auf diese Herausforderungen mit Neuerungen in mehreren Bereichen.

Value for Money

Um Privatanlegern einen besseren Vergleich von Anlageprodukten und ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermöglichen, sollen Finanzdienstleister künftig verpflichtet werden, sämtliche Kosten und Gebühren von Anlageprodukten vollständig zu identifizieren und zu quantifizieren. Auf Basis einheitlicher Standards und aufsichtsrechtlicher Benchmarks (ua nach MiFID, AIFMD und IDD) müssen sie prüfen, ob die Gesamtkosten angemessen und verhältnismäßig sind. Produkte, bei denen dies nicht der Fall ist, dürfen nicht mehr zum Vertrieb zugelassen werden.

Zuwendungen (Inducements)

Das Maßnahmenpaket soll die Regeln zu Zuwendungen verschärfen, um Interessenkonflikte in der Anlageberatung wirksamer zu begrenzen. Dazu zählen Gebühren, Provisionen sowie geldwerte und nicht-geldwerte Vorteile, die Finanzdienstleister im Zusammenhang mit Anlagedienstleistungen erhalten.

Die neuen Vorgaben sollen die Pflicht von Unternehmen und Beratern stärken, stets ehrlich, fair und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln. Zuwendungen sollen nur zulässig sein, wenn sie dem Kunden einen klaren Mehrwert bieten. Zudem müssen die damit verbundenen Kosten transparent und separat von anderen Gebühren und Provisionen offengelegt werden.

Client Journey

Ergänzend zu den verschärften Regeln zu Zuwendungen legt das Maßnahmenpaket weitere Schutzmechanismen für Anleger fest, wobei unnötige Zusatzbelastungen für Wertpapierfirmen, Versicherungen und Vermittler vermieden werden sollen.

Im neuen vereinfachten Rahmen soll bei Empfehlungen für breit diversifizierte, nicht-komplexe und kosteneffiziente Produkte künftig die Pflicht entfallen, Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden gesondert zu prüfen. Dies soll die Beratung vereinfachen, ohne das Schutzniveau für Anleger zu senken.

Finanzbildung & "Finfluencer"

Das Maßnahmenpaket will die Finanzkompetenz der Bevölkerung stärken, etwa durch gezielte Informationsprogramme. Zudem rückt die Kontrolle von "Finfluencern" in sozialen Medien stärker in den Fokus.

Ausblick und Zeitplan

Die rechtstechnische Ausarbeitung des Maßnahmenpakets soll Anfang 2026 abgeschlossen werden. Die Mitgliedstaaten haben anschließend 24 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU Zeit für die Umsetzung in nationales Recht; die Anwendung beginnt grundsätzlich 30 Monate nach Veröffentlichung.

Inhaltlich handelt es sich um eine Richtlinie mit gezielten Änderungen mehrerer EU-Finanzmarktvorschriften – darunter MiFID, Solvency II, UCITS und AIFMD – sowie um eine Verordnung zur Anpassung der PRIIPs-Regelung.

Es bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen letztlich so umgesetzt werden, dass sie geeignet sind, das – sinnvolle – Ziel einer stärkeren Investition von Privatanlegern in den Kapitalmarkt zu erreichen, da dies nicht nur die Wirtschaft stärken würde, sondern auch die private Pensionsvorsorge. So wird etwa darauf zu achten sein, dass die Regelungen zu "Value for Money" nicht dazu führen, dass wegen der Konzentration auf Kosten die Qualität der Produkte und der Beratung leidet und Kleinanlegern ein noch eingeschränkteres Produktspektrum zur Verfügung steht, als dies bereits der Fall ist. Ebenso ist zu wünschen, dass die geplanten Vereinfachungen auf der einen Seite nicht durch neue komplexe Regeln auf der anderen Seite ausgehebelt werden.