Im stetigen digitalen Wandel schreitet auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit großen Schritten voran. Immer mehr medizinische Leistungen werden online angeboten und das nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend. Dadurch werden einige höchst spannende und auch praktisch immer relevanter werdende Rechtsfragen aufgeworfen. Darf ich Patient:innen aus anderen Mitgliedsstaaten telemedizinisch behandeln? Wo werden telemedizinische Leistungen erbracht? Muss ich mich lokal niedergelassener Ärzt:innen zur Behandlung vor Ort bedienen? An welches Recht muss ich mich als Leistungserbringer halten?
Genau mit dieser Frage wird sich der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (C-115/24) beschäftigen. Erste Einblicke, wie die Entscheidung des EuGH schlussendlich ausfallen könnte, geben die erst kürzlich veröffentlichten Schlussanträge des zuständigen Generalanwalts.
Ausgangssachverhalt
Kern des derzeit anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens ist die Frage, ob in Österreich tätige Zahnärzte an Zahnkorrekturen mit transparenten Zahnschienen für österreichische Patient:innen mitwirken dürfen, die DZK Deutsche Zahnklinik GmbH ("DZK"), als eine nach deutschem Recht zugelassene und in Deutschland ansässige private Krankenanstalt, anbietet und durchführt.
Achtung: nicht alles, was digital scheint, ist Telemedizin
Für Behandlungsverträge, die teilweise telemedizinisch und teilweise als klassische "körperliche" Leistung erbracht werden, findet der Generalanwalt klare Worte. Lediglich Leistungen, die vollständig und ausschließlich mit digitalen Mitteln erbracht werden, sind als Telemedizin im Sinne des EU-Rechts zu verstehen. Sobald im Rahmen des Behandlungsvertrags auch eine physische Komponente hinzutritt (wie beispielsweise eine Untersuchung, ein Scan oder ein Zahnabdruck) liegt keine telemedizinische Leistung mehr vor. Das gilt absolut. Es ist unerheblich, ob der telemedizinische oder der körperliche Anteil der Leistung überwiegt.
Ort der Leistungserbringung und anwendbares Recht
Auch mit der Frage, welches Recht zur Anwendung gelangt, beschäftigte sich der Generalanwalt. Demnach gilt nach den Richtlinien 2011/24/EU und 2000/31/EG für telemedizinische Leistungen das Herkunftslandprinzip. Daraus folgt, dass die vom Deutschen Zahnklinikum DZK erbrachten digitalen Dienstleistungen dem deutschen Recht unterliegen, weil DZK in Deutschland ihren Sitz hat.
Die Richtlinie 2005/36/EG führt ebenfalls zur Anwendbarkeit deutschen Rechts. Im Rahmen einer telemedizinischen Leistungserbringung "begibt" sich der Leistungserbringer nicht in einen anderen Mitgliedsstaat, zumal kein physischer Grenzübertritt des Leistungserbringers erfolgt. Die Leistung wird aus dem Mitgliedsstaat des Leistungserbringers heraus erbracht.
Die Bestimmungen des österreichischen Zahnärztegesetzes können DZK daher nicht entgegengehalten werden. Das gilt auch wenn sich der Leistungserbringer eines "Erfüllungsgehilfen" oder Vertragspartners bedient, um vor Ort physische Leistungen vorzunehmen. Der Leistungserbringer begibt sich nicht in einen anderen Mitgliedsstaat.
Grenzüberschreitende Leistungen, Einbeziehung von ansässigen Zahnärzti:innen und das Spannungsfeld zwischen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
Fraglich ist, ob im Hinblick auf DZK überhaupt eine grenzüberschreitende Leistung vorliegt. Einerseits hängt das von der Frage ab, ob eine verbundene Leistung oder eine reine telemedizinische Leistung vorliegt.
Andererseits könnte die Tätigkeit österreichischer Zahnärzt:innen für DZK dazu führen, dass DZK als in Österreich ansässig angesehen wird, und zwar dann, wenn die Leistungen der österreichischen Zahnärzt:innen und der DZK als einheitliche Leistung zu beurteilen sind. Diesfalls käme das österreichische Zahnärztegesetz zur Anwendung. Es müsse in weiterer Folge überprüft werden, ob die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die einschlägigen Bestimmungen des österreichischen Zahnärztegesetzes – insbesondere der Beschränkung des Betriebs von Zahnarztpraxen auf bestimmte Rechtsformen (insbesondere Gruppenpraxen) – zulässig sei.
Was bedeutet das für Unternehmen, die digitale Gesundheitsdienstleistungen grenzüberschreitend anbieten wollen?
- Die Gestaltung des Behandlungsvertrags hat einen Einfluss auf das anwendbare Recht. Sollen rein telemedizinische Leistung angeboten werden, gilt das Herkunftslandprinzip. Das Recht des Niederlassungsstaates kommt zur Anwendung. Werden im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrages sowohl telemedizinische als auch physische Leistungen angeboten, kommen die Bestimmungen des Mitgliedsstaats der physischen Leistungserbringung zur Anwendung, weil es sich diesfalls nicht um eine telemedizinische Leistung handelt.
- Eine Einbeziehung vor Ort ansässiger Ärzte als "Erfüllungsgehilfen" oder Vertragspartnern im Rahmen eines Behandlungsvertrages kann zur Folge haben, dass der Leistungserbringer als "ansässig" angesehen wird und grundsätzlich vollends den Bestimmungen des Mitgliedsstaats der physischen Leistungserbringung unterliegt.
- Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch österreichisches Berufsrecht sind – wie dies bereits in der Vergangenheit vom EuGH judiziert wurde – möglich, sofern sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind.
Ausblick
Einige Fragen bleiben aber durch den Generalanwalt unbeantwortet und werden – sofern der EuGH dem Schlussantrag folgt – den nationalen Gerichten überlassen. Wann liegt eine gemischte Leistung vor? Wo kann die Trennlinie zwischen physischer und telemedizinischer Leistung gezogen werden? Wann führt die Einbeziehung niedergelassener Ärzte zur Annahme einer Niederlassung im Herkunftsland des Arztes? Sind die Vorschriften des Zahnärztegesetzes mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar? Wo verläuft die Grenze zwischen einer erlaubten Regulierung und einer unzulässigen Beschränkung?
Für alle Beteiligten bleiben somit gewisse Unsicherheiten bestehen.
Allerdings eröffnen die Schlussanträge für rein telemedizinische Leistungserbringer einen großen Spielraum, um sich für das Herkunftsland zu entscheiden, das die besten Rahmenbedingungen für ihr Geschäftsmodell bietet. Einige Anbieter werden allerdings die Einbeziehung von Ärzten in anderen Ländern sowie die Ausgestaltung der konkreten Behandlungsverträge grundlegend überdenken müssen, wenn sie vom Herkunftslandprinzip profitieren wollen. Jedenfalls bleibt es spannend, ob der EuGH den Schlussanträgen folgen und so die Telemedizin-Branche in der EU grundlegend verändern wird.