Auch im Gesundheitswesen schreitet die Digitalisierung unaufhaltsam voran. Das hat vielfältige Gründe: starke Nachfrage der Patient:innen nach niederschwellig und kurzfristig erreichbaren medizinischen Leistungen, Kostendruck und auch ein Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Wohl auch genau in Kenntnis dieser faktischen Gegebenheiten in der gesamten EU hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 11.9.2025 (C-115/24) die Grenzen der Telemedizin in der EU weit aufgesprengt. Auf e-health Plattformen, Krankenanstalten und medizinisches Fachpersonal kommen sohin interessante Zeiten zu, die neben einschneidenden rechtlichen Veränderungen auch große Chancen bergen.
Worin liegt also die Sprengkraft dieser EuGH-Entscheidung?
Ausgangssachverhalt
Kern des EuGH-Verfahrens war die Frage, ob in Österreich tätige Zahnärzte an Zahnkorrekturen mit transparenten Zahnschienen für österreichische Patient:innen mitwirken dürfen, die DZK Deutsche Zahnklinik GmbH ("DZK") anbietet und durchführt. DZK ist eine nach deutschem Recht zugelassene und in Deutschland ansässige private Krankenanstalt, die der DrSmile Gruppe angehört.
Was ist Telemedizin?
Der EuGH stellt klar: Telemedizin umfasst nur Gesundheitsdienstleistungen, die ausschließlich mittels IKT aus der Ferne und ohne gleichzeitige physische Anwesenheit von Patient:in und Leistungserbringer:in erbracht werden. Das Urteil geht aber nicht näher darauf ein, was wiederum vom Begriff Gesundheitsdienstleistungen umfasst ist. Hierfür lohnt sich ein Blick in die bereits ältere EuGH Entscheidung vom 11.07.2013 (C-57/12), in der Gesundheitsdienstleistungen als jede Tätigkeit ausgelegt werden "mit der der Gesundheitszustand der Patienten beurteilt, erhalten oder wiederhergestellt werden soll, sofern diese Tätigkeit von Fachkräften vorgenommen wird, die als solche nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats anerkannt sind, und zwar unabhängig von der Organisation, den Finanzierungsmodalitäten und dem öffentlichen oder privaten Charakter der Einrichtung, in der die Pflege erfolgt".
Aus dieser sehr weiten Definition wird klar, dass das EuGH Urteil für eine sehr große Anzahl von e-health Plattformen Auswirkungen für die weitere Geschäftsstrategie und Strukturierung haben wird. Dazu gehören beispielsweise auch Gesundheitsdienstleister die Krankenanstalten mit radiologischen Leistungen aus dem Ausland unterstützen, ausländische Versandapotheken oder innovative e-health Anwendungen.
Was ist noch wichtig?
Gemäß den Richtlinien 2011/24/EU und 2000/31/EG gilt für telemedizinische Leistungen das Herkunftslandprinzip. Daraus folgt, dass die von DZK im konkreten Fall erbrachten digitalen Dienstleistungen deutschem Recht unterliegen, weil DZK in Deutschland ihren Sitz hat.
Auch die Richtlinie 2005/36/EG führt zur Anwendbarkeit deutschen Rechts. Im Rahmen einer telemedizinischen Leistungserbringung "begibt" sich der Leistungserbringer nämlich nicht in einen anderen Mitgliedsstaat, zumal kein physischer Grenzübertritt des Leistungserbringers erfolgt. Die Leistung wird aus dem Mitgliedsstaat des Leistungserbringers heraus erbracht und folgt sohin dem Herkunftslandprinzip.
Zudem sind die österreichische Berufsregeln nicht auf die telemedizinisch erbrachten Leistungen der in Deutschland ansässigen DZK anwendbar. Allerdings unterliegen die in Österreich in Präsenz erbrachten Leistungen nationalem Recht – allerdings ohne grenzüberschreitenden Bezug.
Achtung: Nicht alles, was "digital" wirkt, ist Telemedizin
Sobald der Behandlungspfad physische Komponenten (zB Untersuchung, Abdruck, Scan, Eingriff) enthält, fallen diese Teile nicht unter den Telemedizin-Begriff. Nur der rein digitale, ausschließlich IKT-basierte Teil ist Telemedizin – mit Herkunftslandprinzip. Die Präsenzteile bleiben am Ort der tatsächlichen Leistungserbringung verortet und unterliegen daher diesem Recht.
Was bedeutet das für die Praxis?
- Geschäfts- & Behandlungsmodelle klar trennen
- Rechtswahl für telemedizinische Leistung folgt der Niederlassung
- Lokale Präsenz bleibt lokal
- Zuweisung von Zuständigkeiten, um Haftung und Compliance entlang der Kette klarzustellen
Fazit
Mit seiner Entscheidung sorgt der EuGH für mehr Rechtssicherheit im Bereich der grenzüberschreitenden Telemedizin. Für e-Health-Plattformen und Anbieter bedeutet dies: Telemedizinische Leistungen sind strikt digital zu gestalten, damit das Herkunftslandprinzip greift. Physische Behandlungsteile sind demgegenüber eindeutig dem Patientenstaat zuzuordnen und unterliegen dessen nationalem Recht. Nur wer diese Trennung konsequent beachtet, kann rechtliche Risiken minimieren und zugleich die Voraussetzungen für ein unionsweit skalierbares Geschäftsmodell schaffen.