Wenn man die Antwort des EuGH auf eine Frage des italienischen Corte suprema di cassazione (Vorabentscheidungsersuchen C‑157/23) liest, dann wäre das in vielen Fällen zu bejahen. Ganz so einfach ist es aber nicht, worauf kommt es an?
Worum ging es?
Der spätere Kläger erwarb von einem Händler im Jahr 2001 einen „Ford Mondeo“. Das Fahrzeug hatte ein deutsches Unternehmen, die Ford WAG, hergestellt. In Italien wurden die Fahrzeuge über Ford Italia vertrieben, die das Fahrzeug an den Händler lieferte. Ford WAG und Ford Italia gehören zur selben Unternehmensgruppe.
Am 27. Dezember 2001 gab es einen Verkehrsunfall, bei dem der Airbag des Fahrzeugs nicht funktionierte. Im Jahr 2004 klagte der Verletzte (auch[1]) Ford Italia, und zwar als angeblicher Hersteller des Fahrzeuges.
Ford Italia machte in dem (offensichtlich sehr langwierigen) Gerichtsverfahren geltend, dass sie das Fahrzeug nicht hergestellt habe, und gab die Ford WAG als Herstellerin an. Ford Italia argumentierte, dass sie als Lieferantin nicht für den angeblichen Fehler des Fahrzeugs hafte und dass ein Händler nicht hafte, wenn der Hersteller feststehe.
Die ersten beiden Instanzen entschieden gegen Ford Italia, der Kassationsgerichtshof – der dann erst im Jahr 2018 (!) damit befasst war - beschäftigte den EuGH mit der Frage, ob Ford Italia als Hersteller haftet, obwohl Ford Italia das Fahrzeug nicht hergestellt hat.
Der Anscheinshersteller
Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie (und dieser folgend die jeweiligen Gesetze der EU-Staaten) bestimmt, dass auch jede Person haftet, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt, als sogenannter Anscheinshersteller oder Scheinhersteller. Ein solcher Anscheinshersteller haftet solidarisch mit dem „echten“ Hersteller für den Schaden, und kann sich auch nicht durch Bekanntgabe des „echten“ Herstellers von der Haftung befreien (das ist nur für einen Händler möglich).
Daher kann eine Vertriebsgesellschaft, die zwar selbst keine Fahrzeuge herstellt, sondern sich darauf beschränkt, diese beim Hersteller dieser Fahrzeuge zu kaufen, um sie in einem anderen Mitgliedstaat zu vertreiben, durchaus als „Hersteller“ angesehen werden, wenn sie sich so präsentiert hat, indem sie auf dem in Rede stehenden Fahrzeug ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen angebracht hat. Erkennungszeichen ist alles, woraus die Identität eines Unternehmens erkennbar ist.
Nun hat aber Ford Italia auf dem gelieferten Ford Mondeo nichts angebracht. Vielmehr waren Plaketten, Schriftzüge und Ähnliches mit der Aufschrift „FORD“ schon am gelieferten Fahrzeug. Trotzdem sollte Ford Italia haften.
Voraussetzungen der Haftung
Der Kassationsgerichtshof wollte nun vom EuGH wissen, ob der Lieferant eines fehlerhaften Produkts als „Person, die sich als Hersteller ausgibt“, anzusehen ist, wenn dieser Lieferant zwar nicht physisch seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht hat, wenn aber das Warenzeichen „FORD“, das der Hersteller auf dem Produkt angebracht hat, zum einen mit dem Namen des Lieferanten und zum anderen mit dem Namen des Herstellers übereinstimmt.
Wesentliches Gegenargument ist der Wortlaut der Bestimmung, der vom „Anbringen“ des Erkennungszeichens spricht.
Das hat der EuGH aber letztlich nicht so gesehen, weil bei Unionsvorschriften nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen seien. Wesentlich sei das Verhalten einer Person, die die Anbringung eines Erkennungszeichens auf einem Produkt nutzt, um den Eindruck zu erwecken, am Herstellungsprozess beteiligt zu sein oder dafür verantwortlich zu sein. Dafür ist es egal, ob sie selbst physisch eine solche Angabe auf diesem Produkt angebracht hat oder ob ihr Name die vom Hersteller darauf angebrachte Angabe enthält, die dem Namen des Herstellers entspricht. In beiden Fällen nutzt der Lieferant nämlich die Übereinstimmung zwischen der in Rede stehenden Angabe und seiner eigenen Firma, um sich dem Verbraucher als für die Qualität des Produkts Verantwortlicher zu präsentieren und beim Verbraucher ein Vertrauen hervorzurufen, das mit dem vergleichbar ist, das er hätte, wenn das Produkt unmittelbar vom Hersteller verkauft würde.
Wie schon in einer früheren Entscheidung will der EuGH zum Schutz des Verbrauchers ein weites Verständnis des Begriffs „Hersteller“ (Urteil vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia, C‑264/21). Der Verbraucher soll die freie Wahl haben, jedes Unternehmen das als Hersteller oder Anscheinshersteller auftritt, unterschiedslos für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch zu nehmen. Ziel ist die Last, den tatsächlichen Hersteller des fraglichen fehlerhaften Produkts ermitteln zu müssen, zu lindern.
Für den Generalanwalt beim EuGH war laut seiner Stellungnahme der entscheidende Umstand die „dreifache Übereinstimmung“ zwischen dem Namen des Lieferanten (Ford Italia), dem auf dem Produkt stehenden Namen (Ford Mondeo) und dem Namen dessen, der das Produkt hergestellt hat (Ford WAG). Diese Übereinstimmung lasse den Verbraucher vermuten, dass für die Qualität des Fahrzeugs durch einen Lieferanten gebürgt wird, der sich, damit er „ihre Bekanntheit nutzt, um das fragliche Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen“. Allerdings soll nicht so wichtig sein, ob sich das Vertriebsunternehmen eine angebliche Mehrdeutigkeit zunutze macht, oder die Bezeichnung absichtlich gewählt hat, um das Ansehen des Erkennungszeichens des tatsächlichen Herstellers auszunutzen.
Die Haftung soll also keine „Strafe“ für eine bewusste Markennutzung sein, sondern stellt auf einen (angeblich) objektiven Eindruck beim Verbraucher ab.
Diese weite Auslegung soll jedoch nicht dazu führen, dass die Haftung für durch ein fehlerhaftes Produkt verursachte Schäden unterschiedslos jeder Person aufgebürdet wird, die am Herstellungs- und Vertriebsprozess des Produkts beteiligt ist. Der EuGH scheint hauptsächlich Wert darauf zu legen, wie der Eindruck eines typischen, offenbar nicht sehr informierten Verbrauchers ist, und nicht darauf, wie die Herstellung tatsächlich abgelaufen ist.
Was heißt das jetzt für Vertriebsunternehmen?
Jedenfalls wichtig ist der Eindruck, der bei einem Verbraucher erweckt wird, insbesondere ob damit beim Verbraucher ein gesteigertes Vertrauen hervorgerufen wird. Dies sieht der EuGH als objektives Kriterium. Der Generalanwalt hat zum Eindruck die „dreifache Übereinstimmung“ zwischen dem Namen betont. Fraglich ist hier einerseits, warum die Vertriebsgesellschaft (von der der Verbraucher im konkreten Fall ja nicht direkt gekauft hat) eine so prominente Stellung hinsichtlich des Verbrauchervertrauens einnehmen soll, andererseits aber auch, ob nicht doch auch subjektive Kriterien eine Rolle spielen.
Auf subjektive Kriterien soll es für den Generalanwalt „nicht so sehr darauf ankomm[en]“. Allerdings hebt er selbst das „besonders enge Verhältnis“ zwischen den Ford-Gesellschaften hervor, und der EuGH spricht vom Vertrauen, das der Lieferant durch die namensgleiche Präsentation (angeblich) beim Verbraucher hervorruft. Insgesamt eine etwas unbefriedigende Aussage, die Zweifel daran weckt, dass subjektive Kriterien wirklich so unbedeutend sind.
Schützt eine schlichte Umbenennung der Vertriebsgesellschaft vor der Haftung?
Wenn das Vertriebsunternehmen anders benannt ist als der Produzent und die Marke, fällt jedenfalls das Hauptargument dieser EuGH-Entscheidung weg.
Zumindest ist aber bei klar erkennbaren (für den Verbraucher, wie ihn sich der EuGH vorstellt) Hinweisen auf die Rolle als bloßes Vertriebsunternehmen wohl ein wesentlich geringeres Risiko anzunehmen. Der österreichische Oberste Gerichtshof hat beispielsweise eine allgemeine Produzentenhaftung als Anscheinshersteller in einem Fall verneint[2], weil die Firma der Beklagten nach dem als Schlagwort verwendeten Phantasiebegriff das Wort „Handels“ enthielt, was gerade nicht auf ein Produktionsunternehmen hinweist.
Neue Produkthaftungsrichtlinie
Am 8. Dezember 2024 ist die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 in Kraft getreten, die bis zum 9. Dezember 2026 durch ein neues Produkthaftungsgesetz umgesetzt werden muss. Neben zahlreichen gravierenden Neuerungen wird zum „Anscheinshersteller“ festgehalten, dass jeder haften soll, der als Hersteller auftritt, indem er ihren Namen, Marke oder Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt oder einem Dritten gestattet, dies zu tun, oder ein Produkt entwerfen oder herstellen lässt. Entscheidend nach den Erwägungsgründen auch hier, dass man dadurch den Eindruck erweckt, am Herstellungsprozess beteiligt zu sein oder die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Mittelfristig ist daher wegen der verbraucherfreundlichen Richtlinienvorgabe und Rechtsprechung des EuGH eher mit einer weiteren Ausweitung der Haftung von Anscheinsherstellern zu rechnen.
Vertriebsunternehmen (vorallem solche die Teil eines Konzerns sind) sollten jedenfalls für den Fall einer Inanspruchnahme als Anscheinshersteller gerüstet sein.
[1] Die Klage war gegen den Händler UND gegen Ford Italia, für die hier interessierende Rechtsfrage ist die Klage gegen den Händler nicht relevant.
[2] 4 Ob 114/23b zu allgemeiner Produzentenhaftung (nicht PHG)